Köln/Aachen. Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MUNV) des Landes Nordrhein-Westfalen hat auf Basis des Koalitionsvertrags der schwarz-grünen Landesregierung eine Reform der Aufgabenträgerschaft für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) angestoßen. Hierfür ist eine Novellierung des ÖPNVG NRW notwendig. Ziel der Reform ist eine effizientere und einheitlichere Organisation des SPNV in NRW. Das Ziel der Effizienzsteigerung unterstützen go.Rheinland, der Aachener Verkehrsverbund (AVV) sowie der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) grundsätzlich. Zur Umsetzung wurden hierfür im Rahmen von Arkeitskreissitzungen auch konstruktive Vorschläge unterbreitet; jedoch dient der jetzige Gesetzentwurf diesem Ansinnen nicht und wird daher aus einer Vielzahl an Gründen als ungeeignet und nicht zielführend angesehen.
go.Rheinland, AVV und VRS waren im Rahmen der Verbändeanhörung für den Gesetzgebungsprozess aufgefordert, Stellung zu dem vorgelegten Entwurf zu nehmen. In einer gemeinsam mit den anderen NRW-Aufgabenträgern für den SPNV, Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL), eingereichten Stellungnahme hat go.Rheinland erhebliche Risiken sowie offene Fragestellungen aus dem vorliegenden Gesetzentwurf benannt.
So würden im Falle der angedachten neuen Gesetzgebung bewährte Organisationsstrukturen zerschlagen. Das Land würde sich umfassende Eingriffsrechte sichern, während Verantwortung und Haftung bei den Kommunen verblieben. In ihrer Stellungnahme stellen die Aufgabenträger und Verbünde zudem klar, dass im Gesetzentwurf suggerierte Synergieeffekte und Verbesserungen nicht zu erzielen sein werden. Transformationskosten für die vom MUNV angedachte Anstalt „Schiene.NRW“ sind nicht ermittelt und beziffert. Obendrein hat sich das MUNV selbst nicht für die von PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, mit dem es den Prozess zur SPNV-Strukturreform eingeläutet hat, empfohlene konsequenteste Lösung entschieden. Zu guter Letzt stellen die Aufgabenträger fest, dass die Zeitplanung für eine umfassende Änderung der Organisationsstrukturen im SPNV bis zum 01.01.2027 unrealistisch ist.
Flankiert wird das Papier durch bereits im Vorfeld der Stellungnahme erstellte Gutachten. Diese haben unterschiedliche Schwerpunkte:
- Kommunalverfassungsrechtliches Gutachten: Der Verwaltungsrechtler Professor Dr. Martin Beckmann kommt in seinem Gutachten zu dem Schluss, dass ein solches Gesetz in der im Entwurf vorliegenden Form verfassungswidrig wäre. Mehrere Landräte aus dem go.Rheinland-Gebiet haben ihre Klagebereitschaft für den Fall signalisiert, dass am Gesetzentwurf keine tiefgreifenden Anpassungen vorgenommen werden.
- Finanz-Risikogutachten: Die Kanzlei McDermott, Will & Schulte hat sich mit den bestehenden Kreditverträgen für Fahrzeuge der S-Bahn Rheinland und des RRX befasst. Der Gutachter kommt zusammenfassend zu dem Schluss, dass den Kommunen aus der beabsichtigten Gesetzesänderung erhebliche Risiken aus den durch die Strukturreform anzupassenden Kreditverträgen entstünden. Würden die der Finanzierung zugrundeliegenden Projektstrukturen geändert, erwachse daraus die Möglichkeit für die Banken, die Verträge zu kündigen und neu abzuschließen. Vertragsanpassungen oder Neuabschlüsse würden jedoch erwartbar hohe Mehrkosten für die Kommunen und damit den Steuerzahler bedeuten.
- Methodik-Gutachten: Das Gutachten von Professor Dr. Carsten Sommer bilanziert, dass das „Eckpunktepapier“ der PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH in der Bewertungsmethodik Mängel aufweist. Diese beeinträchtigten erheblich die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Bewertungsergebnisse. Transformationsaufwände für die Reform würden zwar genannt, aber nicht bewertet.
Vielzahl von Bedenken
Aus der Vielzahl an juristischen und fachlichen Bedenken ergibt sich zur Überzeugung der Hausspitzen von go.Rheinland, AVV und VRS sowie zur Überzeugung der Verbandsvorsteher die Notwendigkeit erheblicher Anpassungen an dem Gesetzentwurf. Zumal wichtige Anregungen, die im Rahmen der Arbeitskreissitzungen beim Ministerium in den Prozess eingebracht wurden, keine Berücksichtigung fanden, auch nicht bezüglich der Risiken für die kommunalen Kassen oder hinsichtlich alternativer Weiterentwicklungen der Zusammenarbeit für den SPNV in NRW.
Bei den vom MUNV mehrfach reklamierten “Doppelstrukturen” bei der Organisation des SPNV in NRW handelt es sich in Wirklichkeit um Parallelstrukturen, die die regionalen Bedarfe entsprechend abbilden und auch zukünftig erhalten blieben.
Trotz des Auftrags aus dem Koalitionsvertrag, sich ausschließlich mit der Optimierung der SPNV-Strukturen im Land zu beschäftigen, wird die Axt an die Gesamtstruktur des ÖPNV in NRW gelegt. Für die Verkehrsverbünde stellt der Gesetzentwurf lediglich 50 Prozent des aktuellen Bedarfs an Geldmitteln in Aussicht. Dieser vorgeschlagene finanzielle Kahlschlag bei den Verbünden würde zur Beendigung wesentlicher Projekte der Verkehrswende führen. Es ist schleierhaft, wie unter diesen Bedingungen das Versprechen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag, bis 2030 mindestens 60 Prozent Mehrverkehr für die Fahrgäste und Bürger*innen im ÖPNV zu schaffen, erreicht werden soll. Besonders bitter ist die Erkenntnis, dass die von Minister Krischer versprochene Sicherung der bestehenden Arbeitsplätze so nicht erreichbar wäre.